Salzburger Baustellen: Wenn der Glanz des Serienmeisters verblasst
Alex Januschewsky
Meinung
Red Bull Salzburg war lange das Maß aller Dinge im österreichischen Fußball. Dominant, innovativ, selbstbewusst. Jahr für Jahr pflügten die „Bullen“ (oh, wie ich diese Bezeichnung verabscheue) durch die Bundesliga, entwickelten internationale Topstars und setzten Maßstäbe, wie man aus jungen Talenten Weltklasse machen kann. Doch 2025 wirkt dieses Bild wie aus einer anderen Zeit. Salzburg kämpft – nicht mehr mit Gegnern, sondern mit sich selbst. Es sind gleich zwei Baustellen, die den Klub derzeit belasten: die sportliche, die sich auf dem Rasen zeigt, und die emotionale, die zwischen Verein und Fans klafft.
Ich begleite den Verein seit Anbeginn (und auch schon seit Lehener Zeiten), und selten war die Stimmung so widersprüchlich wie jetzt. Auf der einen Seite ein Verein mit dem größten Budget des Landes, auf der anderen eine Mannschaft, die ihren eigenen Anspruch kaum erfüllt. Dazu Fans, die sich zunehmend entfremdet fühlen. Es brodelt, und man spürt: Salzburg steht an einem Wendepunkt.
Die sportliche Baustelle: Wenn Erfolg zur Erinnerung wird
Früher war Red Bull Salzburg nicht nur überlegen, sondern auch ein Synonym für klare Strukturen. Das Modell war einfach und effektiv: Talente finden, entwickeln, erfolgreich machen – und sie dann teuer verkaufen. So entstanden Karrieren wie jene von Erling Haaland, Dominik Szoboszlai oder Benjamin Šeško. Es war ein System, das perfekt funktionierte, weil jeder Baustein ineinanderging. Doch dieses „Werkl“, wie man in Salzburg gern sagt, läuft längst nicht mehr rund.
Das waren noch Zeiten, als Erling Haaland die Arena begeisterte.
Das Team wirkt unausgewogen, der Spielstil verloren, die Automatismen fehlen. Trainer Thomas Letsch und sein Team suchen nach Lösungen, finden aber kaum welche. Vieles wirkt, als habe der Klub die Balance verloren – zwischen Anspruch und Realität, zwischen Entwicklung und Ergebnisdruck.
Dabei ist das Grundproblem schnell benannt: Salzburg hat in den letzten Jahren zu viele Spieler verloren, ohne rechtzeitig neue Leistungsträger zu formen. Sportchef Rouven Schröder hat in seinem ersten Jahr massiv umgebaut, ganze 36 Spieler gingen, 16 kamen. Es war ein notwendiges Aufräumen, keine Frage. Doch wer so viel verändert, nimmt auch Stabilität. Und die fehlt jetzt an allen Ecken.
Schröder wollte einen klaren Schnitt, Reiter sprach von einem Kaderumbau, der überfällig war. Aber bislang sieht man auf dem Platz wenig von jener Vision, die Salzburg einst ausmachte. Früher hatte man das Gefühl, jeder Neuzugang wusste genau, was er hier lernen, leisten und erreichen wollte. Heute wirken viele Transfers wie Reaktionen auf Probleme – nicht wie Teil eines Plans.
Das Trainerteam hat es bislang nicht geschafft, aus den vielen jungen Spielern eine funktionierende Einheit zu formen. Die Mischung aus Routine und Jugend, die Salzburg immer stark machte, stimmt nicht mehr. Wer das aktuelle Spiel beobachtet, erkennt: Es fehlt an Struktur, an Selbstverständlichkeit, an Vertrauen. Zu oft entscheiden Zufälle über Sieg oder Niederlage.
Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen Salzburg mit einer Selbstverständlichkeit spielte, die fast unheimlich war. Da war Tempo, da war Pressing, da war Gier. Jetzt sieht man Zögern, Unsicherheit, Phasen von Ideenlosigkeit. Das ist kein mentales Problem, sondern ein strukturelles. Wenn ständig neue Spieler kommen, Trainer experimentieren und Führungskräfte betonen, dass keine „Neuausrichtung“ nötig sei, dann sendet das ein widersprüchliches Signal.
Es geht um Identität – und die ist Salzburg im Moment abhandengekommen.
Fehlende Konstanz und das bröckelnde Selbstbild
Salzburg steht für Erfolg, Tempo, Entwicklung – oder stand dafür. Mittlerweile ist die Marke sportlich angekratzt. Zwei Jahre ohne Titel, frühe Cup-Ausfälle, internationale Auftritte, die mehr Fragen als Antworten hinterließen. Das kratzt am Selbstverständnis eines Klubs, der sich über Dominanz definiert hat.
Interessant ist, wie schnell sich das Selbstbild verschiebt. Noch vor wenigen Jahren galt Salzburg als Sprungbrett für Europas Topligen, ein Verein, der Karrieren startet. Heute entscheiden sich viele Talente bewusst gegen die Salzburger. Sie sehen, dass der Weg nach Leipzig oder in andere große Ligen längst nicht mehr so geradlinig verläuft. Der Glanz des Systems ist verblasst, die Erfolgsstory hat Kratzer.
Hinzu kommt, dass die Konkurrenz im In- und Ausland klüger geworden ist. Vereine wie Sturm Graz oder Rapid Wien investieren gezielter, arbeiten langfristiger, setzen auf Kontinuität. Salzburg hingegen wechselt zu oft Personal, Spieler und Strategien. Es fehlt das Gefühl, dass etwas gewachsen ist.
Es ist paradox: Das Budget ist weit größer als bei anderen Vereinen, die Infrastruktur professioneller – und dennoch wirkt die sportliche Substanz schwächer. Vielleicht, weil Erfolg sich nicht kaufen lässt. Vielleicht, weil die Seele eines Teams eben mehr ist als ein Transfermarktwert.
Ich beobachte, dass Salzburg auf dem Platz kaum mehr diese „Wucht“ hat, die einst alles überrollte. Gegner haben keine Angst mehr. Selbst kleinere Vereine wissen, dass Salzburg verwundbar ist. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist dahin – und das spürt man im ganzen Land.
Trainer, Führung und das Problem der Geduld
Thomas Letsch ist ein akribischer Trainer, ein Arbeiter, ein Taktiker. Aber er steht in Salzburg unter einem Erwartungsdruck, der kaum auszuhalten ist. Jeder Punktverlust wird analysiert, jede Aufstellung diskutiert, jede Entscheidung hinterfragt. Und dennoch fehlt ein erkennbarer Plan, wie der Klub sportlich wieder zu sich selbst finden will.
Die Führung betont, man wolle den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Doch welcher Weg ist das eigentlich? Der Klub, der früher langfristig dachte, agiert derzeit oft kurzfristig. Spieler kommen und gehen, Trainer wechseln, Systeme ändern sich – was bleibt, ist Unsicherheit.
Es braucht wieder Mut zur Geduld. Salzburg hat alles, was es braucht, um erfolgreich zu sein: Strukturen, Geld, Talente, ein funktionierendes Umfeld. Was fehlt, ist Ruhe. Vielleicht muss man sich wieder trauen, weniger zu tun. Weniger verändern. Weniger reagieren. Mehr entwickeln.
Wenn Salzburg seine sportliche Stärke zurückgewinnen will, muss es wieder zu dem werden, was es groß gemacht hat: eine Mannschaft mit klarer Idee, klarer Identität, klarer Energie. Der Weg dorthin beginnt nicht am Transfermarkt, sondern auf dem Trainingsplatz. Und in der Kabine.
Ein Offenbarungseid in einem Satz
Dass Sportdirektor Rouven Schröder zuletzt öffentlich meinte, Rapid Wien habe aktuell den besseren Kader als Salzburg, ist ein Satz, der hängenbleibt – und wehtut. Für einen Klub, der über Jahre als sportliches Nonplusultra des Landes galt, klingt das wie eine Bankrotterklärung. Natürlich kann man das als realistische Einschätzung sehen, als Versuch, Erwartungen zu dämpfen. Aber in Wahrheit sagt dieser Satz alles über den Zustand des Vereins.
Wer sich mit dem größten Budget des Landes hinstellt und zugibt, dass der direkte Konkurrent personell stärker ist, stellt ungewollt die eigene Arbeit infrage. So etwas hätte man aus Salzburg früher nie gehört. Es war immer Teil der Identität, nach vorn zu gehen, Größe zu zeigen, sich nie kleiner zu machen, als man ist. Wenn nun der eigene Sportchef die Überlegenheit eines Rivalen anerkennt, zeigt das, wie weit man von diesem Selbstverständnis entfernt ist. Es ist nicht nur ein sportliches, sondern auch ein kulturelles Alarmsignal.
Die emotionale Baustelle: Wenn Fans zu Zuschauern werden
Neben der sportlichen Krise hat sich in den letzten Jahren ein zweites Problem aufgebaut – eines, das leiser, aber langfristig gefährlicher ist: die schwindende Nähe zwischen Verein und Fans.
Ich erinnere mich an Zeiten, in denen der Klub mitten in der Stadt präsent war. Tage der offenen Tür, Fan-Feste, Bauernherbst in der Red Bull Arena, Stammtische in der Brauwelt, kleine Christkindlmärkte in der Adventzeit. Aktionen, die vielleicht nicht weltbewegend waren, aber eine große Wirkung hatten. Da war Leben, da war Herzblut.
Als es noch den „Bauernherbst“ in der Red Bull Arena gab. Foto: Salzburg Land Tourismus
Heute sucht man solche Momente vergeblich. Der Verein wirkt distanzierter, glatter, professioneller – aber weniger menschlich. Viele Fans fühlen sich nicht mehr wirklich Teil des Ganzen. Früher blieb man stehen, wenn man einen Spieler im Einkaufszentrum sah, bat um ein Autogramm oder ein kurzes Gespräch. Heute erkennen viele die Spieler gar nicht mehr. Nicht, weil sie es nicht wollen – sondern weil die Gesichter ständig wechseln.
Ein Verein lebt von Nähe. Von Geschichten, von Gesichtern, von Menschen, die man kennt. Und genau das geht Salzburg verloren.
Dabei ist es gar nicht schwer, das zu ändern. Niemand erwartet, dass jeder Spieler wöchentlich mit Fans plaudert. Aber kleine Gesten, regelmäßige Begegnungen, kleine (gerne auch größere) Events, Gespräche – das sind Dinge, die Bindung schaffen. Das kostet etwas, ja. Aber es bringt unendlich viel zurück.
Denn wenn ein Verein seine Fans verliert, verliert er seine Seele.
Wenn Fanliebe zur Kostenfrage wird
Ein weiterer Stich ins Fanherz der Familien ist das Verschwinden der „Bulldikidz“-Arena. Früher war sie ein Ort, an dem Kinder spielerisch in die Welt des Fußballs eintauchen konnten, ein Treffpunkt für Familien, die Salzburg nicht nur als Mannschaft, sondern als Erlebnis verstanden. Heute ist davon nichts mehr übrig.
Stattdessen wurde der Fanpark erweitert – modern, professionell, aber auch kühl und teuer. Gastro-Stände mit Hochglanzoptik ersetzen das Echte, das Bodenständige. 7,50 Euro für den „Salzburger Haussnack“, die Bosna, sind kein Schnäppchen, sondern ein Statement: Aber kein positives. Auch das Bier im Stadion ist mittlerweile ein Luxusgut, das viele nur noch mit Kopfschütteln bezahlen.
Das mag wirtschaftlich Sinn ergeben, emotional aber schafft es Distanz. Fußball in Salzburg wird teurer, aber nicht besser – und vor allem nicht näher.
Die stille Entfremdung
In den Gesprächen, die ich rund um Spiele führe, höre ich immer öfter denselben Satz: „Irgendwie ist das nicht mehr unser Salzburg.“. Oder „Wenn das der Fußball von morgen ist, will ich den von gestern wieder:“ Diese Sätze treffen. Sie sagen viel über die Stimmung.
Die Fans fühlen sich nicht mehr abgeholt. Die Kommunikation ist distanziert, die Sprache oft steril. Es gibt keine Geschichten, die verbinden, keine Identifikationsfiguren, keine emotionale Ansprache.
Die Fanclubs leisten allesamt weiter großartige Arbeit, doch das Gefühl, wirklich gebraucht oder ernst genommen zu werden, schwindet. Früher war man stolz, Teil eines Projekts zu sein, das europaweit bewundert wurde. Heute spürt man mehr Resignation als Euphorie.
Der Verein hat es versäumt, diesen emotionalen Draht zu pflegen. Er war zu beschäftigt mit Strukturen, Zahlen, Strategien – und hat dabei vergessen, dass Fußball immer mehr ist als das.
Glanz im Netz, Leere auf den Rängen
Salzburg ist längst Meister – zumindest auf Social Media. Über eine halbe Million Follower auf Facebook, noch mehr auf Instagram und rund 1,3 Millionen auf TikTok. Feine Sache, keine Frage. Die Online-Welt des Klubs ist perfekt inszeniert: Hochglanzclips, Jubelvideos, perfekt getaktetes Marketing. Nur leider spiegelt sich dieser digitale Glanz nicht mehr im Stadion wider.
Trotz all der Reichweite bleiben viele Plätze in der Red Bull Arena leer. Likes ersetzen keine Stimmung, Follower gewinnen keine Zweikämpfe. Der Klub hat online Fans in aller Welt – aber im eigenen Wohnzimmer fehlt zunehmend die Leidenschaft. Erfolg entsteht nicht auf dem Smartphone, sondern auf dem Spielfeld. Und genau dort liegt Salzburg im Moment weit hinter seinem virtuellen Image zurück.
Was Salzburg wieder groß machen könnte
Der Weg zurück führt nicht nur über Siege. Er führt über Haltung, Offenheit und Authentizität. Salzburg muss sich wieder auf das konzentrieren, was diesen Klub einst einzigartig gemacht hat: Mut, Leidenschaft, Nähe.
Ein Verein, der sich nur über Transfers und Statistiken definiert, verliert irgendwann die Menschen, die ihn tragen. Es braucht wieder Geschichten, Gesichter, Emotionen. Spieler, die nicht nur durch das Stadion laufen, sondern es fühlen. Trainer, die nicht nur analysieren, sondern begeistern. Führungskräfte, die nicht nur verwalten, sondern verbinden.
Und es braucht Fans, die wieder stolz sagen: „Das ist unser Salzburg.“
Der Klub hat alles, um diesen Weg zu gehen. Vielleicht ist die aktuelle Krise genau der Moment, um neu zu denken. Nicht als Rückschritt, sondern als Chance, wieder das zu werden, was man war: ein Verein, der lebt, begeistert und Menschen mitnimmt.
Wenn Salzburg wieder schafft, Herz und Kopf zu vereinen – den sportlichen Anspruch mit menschlicher Nähe –, dann wird aus dieser Baustelle wieder ein Fundament.
Alex Januschewsky
Ich bin Herausgeber von S12 und schreibe leidenschaftlich gerne über Fußball. Dabei geht es mir nicht um Schönfärberei, sondern um konstruktive und auch kritische Analysen. Die Mannschaft der Salzburger steht für mich im Mittelpunkt, weil mir ihr Weg und ihre Entwicklung am Herzen liegen.
2 Antworten
Ich meine natürlich die , die daheim bleiben.
Ich bin jetzt nicht gerade das, was man unter einem Fan versteht (Ich will sitzen, ich singe nicht….), aber was der Verein mit ihnen aufführt , geht auf keine Kuhhaut. Ich erinnere mich noch gut daran, als Spieler immer wieder im Abseits waren. Gibt’s heute auch noch, aber nur für die VIPs. Mir ist schon klar, dass die mehr Geld bringen, aber die „Seele“ des Vereins machen sie nicht aus. Der Verein muss wirklich wieder ein Auge auf die werfen, auch wenn sie weniger Kohle bringen. Und zum Thema „Leere auf den Rängen“- jetzt kommen eben nur mehr die, denen das Fansein eine Herzensangelegenheit ist. Und ehrlich gesagt, die sollen sich zum Teufel scheren.
2 Antworten
Ich meine natürlich die , die daheim bleiben.
Ich bin jetzt nicht gerade das, was man unter einem Fan versteht (Ich will sitzen, ich singe nicht….), aber was der Verein mit ihnen aufführt , geht auf keine Kuhhaut. Ich erinnere mich noch gut daran, als Spieler immer wieder im Abseits waren. Gibt’s heute auch noch, aber nur für die VIPs. Mir ist schon klar, dass die mehr Geld bringen, aber die „Seele“ des Vereins machen sie nicht aus. Der Verein muss wirklich wieder ein Auge auf die werfen, auch wenn sie weniger Kohle bringen. Und zum Thema „Leere auf den Rängen“- jetzt kommen eben nur mehr die, denen das Fansein eine Herzensangelegenheit ist. Und ehrlich gesagt, die sollen sich zum Teufel scheren.